Zahnärztliche Prothetik in der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft

Diese Zusammenfassung wurde durch unseren Präsidenten           Dr.Marc-Christoph Meier verdankenderweise verfasst.

Prof. emer. Carlo Marinello 29.11.18

Eindrücklicher, dichter Vortrag, fliessend, leise gehalten, zeugend von langer von analytischem Denken geprägter akademischen Karriere – nur bei Widerspruch zu eigenen Vorstellungen temperamentvoll unterbrochen bei der klare Ansichten mit Verve vertreten werden. Die Gesellschaft hörte aufmerksam zu, fragte kritisch und erhielt deutliche Anworten. Marinello zeigte uns einen Blick in die Zukunft und die disruptiven Entwicklungen der Zahnmedizin eindrücklich auf. Auch geizte er nicht, seine langen klinischen Erfahrungen mit uns zu teilen. 

Wir befinden uns in einer Uebergangszeit der Zahnmedizin. Trotz enormen Wissens gehen Krankheiten wie Karies und Parodontitis weltweit nicht zurück, es entstehen in der alten Welt gar neue Probleme wie Attrition und den grossen Bedarf an Zahnprophylaxe im hohen Alter. Und: die meisten Zähne gehen iatrogen „verloren“.

Die Ausbildung, so wir sie sie kennen, mit dem step by step bezogenen, analytischem Vorgehen, mit Lernen von Älteren, mit dem kompletten Durchspielen von Programmen bis der Fehler behoben ist, egal wo in der Prozesskette er begangen wurde – ist vorbei.
Die dreiviertelstündige Vorlesungsdauer ist ein Relikt aus dem 19. Jahrhundert. Die Aufmerksamkeitsspanne junger Lernender beträgt 8-10 Minuten. Sie können nicht mehr so gut zuhören. Junge Leute seien dafür in der Lage nicht aus zwei sondern aus fünf Bildschirmen gleichzeitig Informationen zu ziehen. Gaming schon ab 3 h pro Woche erhöhten signifikant die kognitiven Fähigkeiten hat eine Studie ergeben. (Auffassungsgabe, Fehlerhäufigkeit, Vorstellungsvermögen, strategisches Denken). Der moderne Mensch ist (bewegte) Bilder – nicht mehr Text orientiert. Ausserdem holen sich Studenten ihre Informationen genau in dem Moment wo sie gebraucht werden. Es wird nicht mehr „auf Vorrat“ gelernt. In Zukunft werden Studenten mehr wissen als die Lehrer, die vor ihnen stehen. Learning by doing, Learning on demand als Stichworte. Die Referenten werden zu „senior advisors“.

Auch auf Patientenseite wird sich die Entwicklung zur (ego-)patientenenzentrierter „on demand“ orientierter Zahnmedizin entwickeln. „value driven instead of procedure driven medicine with a reimbursement system“ Auch die Patienten „wissen“ in Zukunft mindestens so viel wie die Behandler. Sie gleichen ihren Wissensstand mit dem der Behandler ab. Und eruieren so die Glaubwürdigkeit derselben.

Der Zahnarzt wird Versorger für den Konsumenten. Denn das Produkt ist austauschbar (Knowhow und Skills werden vorrausgesetzt) – der Service – die Sympathie zum Behandler bestimmt die Inanspruchnahme der Leistung. Der Unterhalt der Beziehung und Serviceleistungen bestimmen die Patientenbeziehung. Digitale Informationen und social media beeinflussen die Kontaktaufnahme und ebenso den Erhalt der Verbindung zwischen Patient und Praxis.

Die Zahnmedizin in Zukunft wird digital, roboterisiert, vereinfacht. Versicherungsgesellschaften und Medizinzentren übernehmen die Versorgung der Patienten. Während in der Schweiz zu wenig Zahnärztinnen ausgebildet werden, ist eine weltweite Ueberproduktion von Zahnmedizinern erkennbar. Die gesundheitlichen Probleme der Zukunft sind aerogene Streuung der Mundhöhlenbakterien in die Lunge (-> Lungenentzündungen – Exitus alter Patienten). Der Erhalt der Kaufähigkeit verzögert die Entwicklung von Demenz und Malnutrition [Geritsen 2010 sowie Weijenberg RA, Neurosci BioBehav. Rev 2011] Was nach wie vor gilt: min. 20 Restzähne sollte man behalten (4 Antagonistenpaare). Er vertritt mit Vehemenz und literaturgefestigt die Meinung die Zähne und somit die Kaufkräfte bis ins hohe Alter zu halten. [Wismeijer 2016, First Treatment Considerations] so seien zwei Wurzelkappen mit Retentionen zur Kaukraftentwicklung besser als zwei Implantate.

Den grössten Shift aber erwarte die Zahntechnik.
In den USA sind zwischen 2006-2013 fünftausend Labors verschwunden. Auch in den USA werden 34% der Arbeiten im Ausland hergestellt. Das grösste Labor erzielte 2016 einen Umsatz von 700 Mio US$.(Momentan gibt es noch 9042 Labors in den USA) Dank der neuen Technik werden Rekonstruktionen präzise schnell reproduzierbar und günstig herzustellen sein.

Die heutigen Scanner seien alle vergleichbar gut aber noch zu teuer. Probleme hätten alle noch mit tiefen engen also dem Scannerlicht schlecht zugänglichen Präparationsgrenzen. Am wichtigsten sei die Software und die dadurch entstehenden und darauf aufbauenden Möglichkeiten. 3 Shape wohl z.Zt. am Besten.
Die Genauigkeit betrage digital wie analog ca. 100 mü (Nota: eine gebrauchte Sonde habe etwa eine Fläche/Spitze von 80 mü.
Wichtig sei, dass man analoge und digitale Welten nicht mische. Den jeweiligen workflow konsequent einzuhalten bringe Kostenersparnis und Genauigkeitsgewinn. „scan to mill“- am Effizientesten.
Zirkonoxid ist das Material mit den besten Eigenschaften auf metallfreier Ebene (Gold ist viel elastischer…) und inzwischen auch zuverlässig günstig herstellbar.
so lange die Materialstärke stimmt auch LiDiSilikat. (und hält dann doch noch einen Exkurs über die sinnvollere Verwendung von Metallen bei Klebebrücken)

Last but not least

Er halte in der CH keine Referate mehr, diese Fortbildung sei aussergewöhnlich. Denn hierzulande werde erwartet, dass man sich nach 65 aus dem akademischem Leben zurückziehe. Ganz im Gegensatz zu den USA wo es selbstverständlich sei sich nicht zurück zu ziehen, so lange man der Gesellschaft noch etwas bieten könne. (und ist der erste Referent welcher sein Honorar zu Gunsten einer Behindertenorganisation spendet!)

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